-
Nachlese – Medizin 2030
Nachlese – Medizin 2030

Ist fortschritt Segen oder Fluch?

„Ich hätte mir kein besseres Ambiente vorstellen können, um sich dem Thema „Medizin 2030“ anzunehmen“, so Klaus Konzelmann) in seinem Grußwort. „Die stationäre Krankheitsversorgung steht in der öffentlichen Diskussion, weil sich hier immer deutlicher zeigt, wie sich neue Therapien und neue Errungenschaften medizinischer Apparate, einhergehend mit steigenden Kosten, auf das Gesundheitssystem auswirken.“
In seiner Ansprache forderte der Oberbürgermeister, dass unser Gesundheitswesen so kosteneffizient und so günstig wie möglich sein muss, aber auch maßgeschneidert und kosteneffektiv. Es muss menschliches Mitgefühl als auch medizinische Befunde abwägen und sich darüber hinaus an die sehr schnellen technologischen Veränderungen anpassen. Die Wunschliste ist oft lang, nicht alles davon ist umsetzbar, sonst droht eine Kostenexplosion bei ggf. sinkender die Qualität. Gesundheit muss finanzierbar bleiben, auch für die Armen unter uns.
Eine dauernde Gratwanderung, die uns alle fordert, damit letztendlich nicht das Gesundheitswesen zum Patient wird.

Mehr

Bereits am Nachmittag fand ein Tag der offenen Kinder-Notfall-Sprechstunde im Emma-Beck-Haus am Klinikum statt, bei der Kinder ihre Kuscheltiere zum Verarzten mitbrachten und Eltern sich informierten. Laut Dr. Markus Czempiel (Kinderarzt) ist die Kinder-Notfall-Sprechstunde ein außergewöhnliches Modell an einem Ort, wo keine Kinderklinik vorhanden ist. Weite Wege nach Reutlingen oder Tübingen können so für die Eltern kranker Kinder vermieden werden. Zehn Kinderärzte verrichten dort seit April dieses Jahres jeden Sonntag zwischen 10 und 13 und 14 bis 18 Uhr ihren Dienst. Über 900 Patienten konnten in den vergangenen Monaten bereits versorgt werden.
Zusammen mit Ehefrau Michaela nahm sich Dr. Czempiel zwei Stunden Zeit, um interessierten Eltern die Einrichtung vorzustellen.

Gleichzeitig wurde im Foyer des Klinikums eine Ausstellung über Historisches aus der Krankenpflegeschule eröffnet. Ein Infostand der AOK mit Frau Dr. Ute Streicher und der Videoturm der Stroke unit (Schlaganfalldiagnostik) des Klinikums mit Dr. med. Dimitrios Vasilakis rundeten das Angebot ab.
Der Videoturm der lokalen Schlaganfallstation ermöglicht es, zu Notfalluntersuchungen per Skype die 130 Kilometer Luftlinie entfernten Neurologen der Uni Freiburg hinzuzuziehen. Für die seit Frühjahr dieses Jahres zertifizierte Schlaganfallabteilung ist Neurologe Erhard Pluto tätig. Sechs Betten stehen tagsüber zur Verfügung, nachts wird die Technologie der Videokonferenzschaltung mit dem Klinikum Freiburg genutzt. Als zehnte Klinik ist Albstadt dort zur akuten Behandlung auf Weltstandard angeschlossen und sichert damit die beste Versorgung der Patienten.

Prof. Dr. Michael Bitzer, Ärztlicher Direktor des Klinikum Zollernalb, begrüßte als Hausherr die Gäste und führte aus, wie sich die Medizin in den letzten Jahrzehnten verändert hätte. Dabei gebe es nicht immer Grund zur Euphorie, denn immer da, wo Fortschritt ist, gebe es auch Rückschritt.

Anschließend referierte Prof. Dr. med. Detlev Ganten, Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Charité und Präsident des World Health Summit über die "(R)Evolutionäre Neue Medizin: Die Formel zur Gesundheit".
Prof. Ganten zählt als Facharzt für Pharmakologie und molekulare Medizin zu den herausragenden Persönlichkeiten der europäischen Forschungslandschaft. In seinem Vortrag ging er darauf ein, dass wir es selbst in der Hand haben, die großen Zivilisationskrankheiten, Infarkte, Gelenkleiden, Krebs, Demenz und Depression, zu verstehen und deren Häufigkeit zu verhindern. Dabei spannte er einen weiten Bogen in der Geschichte vom Urknall bis in die Neuzeit und zeigte auf, in welchen Evolutionsphasen der Mensch entstand und mit ihm die wichtigsten Organsysteme, die „erst“ 500 – 700 Millionen Jahre alt sind. Das menschliche Genom ist jedoch erst kürzlich entschlüsselt worden. Seither kann die gesamte Evolution molekularwissenschaftlich erklärt und verstanden werden.
Seine ganzheitliche Gesundheitsformel, die Holistische Medizin, beinhaltet die Biologie, den Lebensstil und die Umwelt. Sie haben unterschiedlichen Einfluss auf die individuelle Gesundheit des Menschen. Von Menschen, aber nicht für Menschen sind die Städte gemacht. Ursprüngliche Bedürfnisse des Menschen können in Städten kaum noch ausgelebt werden, mit der Folge diverser Zivilisationskrankheiten. Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft führen seiner Ansicht nach nicht immer zu besserer Gesundheit, denn laut Prof. Ganten leben wir in einer Umgebung, die sich von unserer Biologie entfernt hat.
Wenn die neuen Erkenntnisse der Medizin aber von der Bevölkerung verstanden werden und die Menschen sich in ihrem Verhalten darauf einstellen, besteht eine wirkliche Chance Gesundheit zu verbessern. Es kommt also auf den gesunden Menschenverstand an. Ein wichtiger Faktor ist aber auch die Bildung. Je gebildeter der Mensch, umso eher setzt er sich intensiv mit Prävention für eine gesunde Lebensweise auseinander.

Die Verbindungen zu Prof. Dr. Ganten verdanken wir Götz Knosp (Heilpraktiker aus Albstadt). Beide kennen sich aus einer Studentenverbindung in Tübingen.

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion, an der Prof. Dr. Ganten, Prof. Dr. Bitzer, Tobias Binder (Kassenärztliche Vereinigung) und Dr. Czempiel (niedergelassener Kinderarzt) teilnahmen, wurden u.a. die Themen „Ärztliche Versorgung“ und „Telemedizin“ angesprochen und mögliche Vor- und Nachteile erörtert. Für ländliche Gemeinden sei die Telemedizin in jedem Fall eine Chance, um einer schlechter werdenden ärztlichen Versorgung vorzubeugen. Laut Tobias Binder sei die Kassenärztliche Vereinigung auf diesem Gebiet in einer Pilotphase und führend in der Bundesrepublik tätig. In Prof. Bitzers Abteilung ist sie bereits gelebter Alltag und auch Dr. Czempiel sah Vorteile, in einer immer schwieriger werdenden Patientenversorgung.

Flyer Impulse Medizin 2030

von links: Manfred Heinzler, Zollernalklinikum, Tobias Binder, Kassenärztliche Vereinigung Stuttgart; Referent Prof. Dr. Detelv Ganten, Charité Berlin; Oberbürgermeister Klaus Konzelmann; Prof. Dr. Michael Bitzer, Ärztlicher Direktor  Zollernalb Klinikum

 

Prof. Dr. Detlev Ganten

 

In der Podiumsrunde: Prof. Dr. Detlev Ganten, Tobias Binder, Markus Czempiel, Kinderarzt, Dorothee Hummel-Wagner, Stadt Albstadt, Prof. Dr. Michael Bitzer